In 40 Jahren um die Welt - ein Morris Minor erzählt

 
   
 

Morris Minor Gudday mates, owsitgown ? Aber halt, ich sollte deutsch reden. Gestatten, mein Name ist Morrie ! Ich habe in den vergangenen Minor Mails immer wieder tolle Artikel über diverse Reisen gelesen. Das brachte mich auf die Idee, meine Memoiren zu schreiben, schliesslich bin ich ein echter Globetrotter. Einmal um den Erdball – welcher Morris kann das schon von sich behaupten?

Aber beginnen wir am Anfang. Wie jeder anständige Morris Minor wurde ich in England ge- nein: er-zeugt, in meinem Fall jedoch nur als ein Haufen von Einzelteilen, das war 1958. In diesem unwürdigen Zustand trat ich meine erste große Reise an – auf einem Schiff nach Neuseeland. Einmal um den halben Erdball, aber gesehen habe ich nichts auf dieser Reise, wie sollte ich auch – ohne funktionierende Scheinwerfer. In Neuseeland in Nelson wurde ich dann zusammengebaut; nicht dass ich mich daran erinnern könnte, aber so steht es in meiner Geburtsurkunde (Fahrzeugnummer). Im Jahr 1959 erblickte ich dann endlich das Licht der Strasse.

Ach diese Strassen ! Zu dieser Zeit waren die meisten neuseeländischen Strassen noch ungeteert, was mir sehr gefallen hat. Meine ersten 39 Jahre in Enzed (NZ oder New Zealand) waren sehr erquicklich und ich habe dort viele schöne Routen erkundet. Ich habe die wunderbar kurvigen Landstrassen mit Ausblicken auf herrliche Meeresbuchten genauso geliebt wie die alpinen Pässe.

NZ Country Road So richtig gerade schnelle Strassen gibt es in Neuseeland eher nicht, aber als Morris braucht man das auch gar nicht, oder ? Am liebsten war ich immer in den wop wops unterwegs (hier würde man wohl sagen: im Hinterland oder am A… der Welt) und am besten haben mir immer die einspurigen Brücken gefallen – da gibt es eine, über die fahren Züge, Autos, Fahrräder und alles andere (aber nicht unbedingt gleichzeitig - der Zug hat immer Vorfahrt). Das war meine Welt!

Von mir aus hätte das ewig so weitergehen können - eines Tages jedoch bekam mein Besitzer eine schwere Midlife Crisis und bildete sich ein, er müsste unbedingt ein neumodisches japanisches Auto mit elektrischen Fensterhebern und diesem ganzen Quatsch haben. Und so kam es, dass ich mit kaum 39 Jahren ins Altersheim abgeschoben wurde – was für eine bodenlose Frechheit!

Te Puke Vintage Autobarn Te Puke Vintage Autobarn 1998

Zugegeben, die Unterkunft in der Te Puke Vintage Auto Barn war nicht so schlecht; da waren viele Kollegen von Austin über Jags (Jaguar) bis zu Holden und Rover. Die meisten kamen aus England wie ich, aber es waren auch ein paar Australier, Amerikaner und sogar einige Deutsche und Italiener dabei. Die Vintage Auto Barn war ein wunderbares Museum mit Werkstatt und Verkauf, aber leider wurde sie 2005 geschlossen und alle meine damaligen Gefährten wurden versteigert.

Ich stand also so rum in Te Puke und langweilte mich – schliesslich bin ich ein Fahrzeug und kein Stehzeug – als eines Tages im Mai 1998 zwei Leute vorbei kamen. Die redeten in einer merkwürdigen Sprache und fingen an um mich rumzuschleichen, also hab ich mich in Positur geschmissen und ein bisschen mit meinen Scheinwerfern geklimpert. Sie gingen dann weg, kamen aber immer wieder und hörten nicht auf, mich zu inspizieren.
Als die Frau dann gesehen hat, dass ich im gleichen Jahr geboren bin wie sie, da hatte ich sie an der Angel! Sie haben dann eine Probefahrt mit mir gemacht und gesagt, dass sie mich mitnehmen. Endlich raus hier – Freiheit, Strassen, Benzingeruch! Aber dann gingen sie einfach weg und liessen mich da und ich war verwirrt – hatte ich da was falsch verstanden?

Die schönen alten Winker In der Vintage Auto Barn erklärten sie mir dann, dass ich zuerst noch Blinker bräuchte, weil meine (hervorragend funktionierenden) Winker nicht mehr erlaubt waren - na gut, gegen eine kleine Schönheits-OP ist ja nichts einzuwenden. Aber als das erledigt war, kamen diese Leute auch nicht wieder ..... und ich war kurz davor, depressiv zu werden. Eines Tages hiess es dann aber, ich müsste zum Hafen fahren und dort eine Schiffsreise antreten. Neat, eh ! ! Cocktails auf dem Sonnendeck und hübsche Mädchen im Bikini, why not !
Aber als ich im Hafen von Tauranga ankam, steckten sie mich in einen blöden Container und trotz meiner Proteste hatte ich nicht mal ein Fenster um die Aussicht zu geniessen. So eine Pleite.

Die Reise war endlos und ich hatte keine Ahnung, wo wir eigentlich hinfuhren. Die haben Glück, dass ich nicht seekrank werde, sonst hätte ich ihnen den Container mit Öl voll gespuckt. Endlich, nach fünf langen Wochen, kamen wir irgendwo an, jedenfalls wurde mein Container abgeladen, aber diese Mistkerle liessen mich immer noch nicht raus. Erst nach ein paar Tagen passierte dann doch noch was: der Container wurde geöffnet und siehe da, da waren endlich auch meine neuen Besitzer. Haben sich ganz schön Zeit gelassen, die beiden!
Der erste Blick nach draussen war nicht sehr aufschlussreich, der Hafen sah aus wie jeder Hafen, das Wetter war feucht und regnerisch genau wie bei der Abfahrt und ich fragte mich, ob ich vielleicht immer noch in Tauranga war und das alles nur geträumt hatte. Aber nachdem alle wieder in so einer merkwürdigen Sprache redeten, war ich vielleicht doch woanders.

Meine Besitzer stellten mir auch gleich meine neue Schwester vor, eine Italienerin namens Giulia aus der Familie der Alfa Romeos. Irgendwie war ich schon froh, dass sie dabei war, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie sie so ist; aber zumindest war ich nicht allein.

Altmühltal-Tour 2007 - Eichstätt Jedenfalls liess ich die Sache erst mal vorsichtig angehen und weigerte mich, anzuspringen. Aber die haben den Trick mit der leeren Batterie durchschaut und einfach meine Kurbel benutzt. Also gut – los geht’s, wohin auch immer.
Aber dann der Schock: die fahren hier alle auf der falschen Seite! Und nicht nur das: zuhause war die Sonne im Norden und Frühling im Oktober und hier ist alles falsch rum! Wie soll man sich da auskennen? Aber das schlimmste war diese komische Strasse, die sie Autobahn nennen – so was gab’s in Neuseeland nicht. Da rauschten dicke fette Autos und Lastwagen in einem Höllentempo an mir vorbei, das war schrecklich. Meine Besitzer haben mir gesagt, dass es von dem Hafen in Bremerhaven fast 1000 km zu meinem künftigen Wohnort in München sind und dass es auf der Autobahn am schnellsten geht. Die Giulia ist immer hinter mir her gefahren und hat mir diese ganzen Verrückten vom Leib gehalten, das hat es etwas leichter gemacht.

Einmal kamen wir in einen Stau und haben die Autobahn verlassen, da ging’s mir gleich besser. Wir sind wir durch ein Dorf gefahren, ich voraus, die Giulia hinterher. Bei einer Ampel musste sie stehenbleiben, während ich durchgekommen bin, also bin ich etwas langsamer gefahren, damit sie mich wieder einholt. Aber weil diese Italiener immer so hektisch sind, hat sie einen Strafzettel bekommen, weil sie zu schnell war, ha ha. Ich fand’s lustig, aber sie war ganz schön sauer.
Ab da hat mir die Fahrt dann echt Spass gemacht, auch wenn die Leute immer so komisch gekuckt haben, wenn ich wieder mal mit der Kurbel angelassen worden bin. Die haben hier wohl noch nie ein anständiges Auto gesehen.

In München angekommen musste ich noch einen Haufen bürokratischen Kram mitmachen, zum Zoll und zur Zulassungsstelle fahren und lauter so Zeug. Aber schliesslich wurde ich doch eingebürgert, obwohl ich damals noch kaum Deutsch konnte. In München habe ich dann auch noch meinen neuen Bruder getroffen, einen englischen Daimler 2.5 V8, der kommt wie ich auch aus Neuseeland. Obwohl er 4 Jahre jünger und viel stärker ist als ich (er hat 150 PS und ich nur 37), verstehen wir uns prächtig und wir fahren gerne zusammen spazieren.

Samerberg 2002 Bodenmais Classic 2004

Ich fahre auch gerne in die Berge, aber meistens lassen sie mich nicht, angeblich, weil ich zu schwach bin, obwohl ich das für bullshit halte. Da nehmen meine Besitzer dann lieber die Giulia. OK, die ist schon schneller - aber warum soll immer nur sie den ganzen Spass haben?

Silvretta Hochalpenstrasse 2006 Einmal wollten sie wieder losfahren in die Alpen, aber dann hat sich die Giulia den Fuss verstaucht (ein Platten) und war nicht einsatzbereit. Also durfte ich auf die Silvretta mitfahren, das war toll! Zwar gebe ich zu, dass die Giulia wahrscheinlich nur halb so lang wie ich gebraucht hätte um die steile Westseite der Hochalpenstrasse zu erklimmen, aber ich geniesse halt die Landschaft, während sie bei so was immer die (Renn-) Sau rauslassen muss. Jedenfalls bin ich jetzt auf den Geschmack gekommen und möchte noch mehr hohe Pässe fahren.

Aber ich darf oft mit auf Oldtimer-Ausfahrten, obwohl mir da einmal eine peinliche Sache passiert ist: An einem wunderschönen Sommersonntag sind wir in Erding losgefahren quer durch die Lande nach Dorfen, wo wir uns in einem herrlichen Biergarten das Mittagessen schmecken liessen. Dann ging’s weiter und alle fuhren los – nur ich nicht. Die Ursache war schnell gefunden – ein kaputter Verteilerfinger – und der Werkstattwagen, der die Ausfahrt begleitet hat, hatte auch alles dabei – nur keinen Verteilerfinger. Da mussten meine Besitzer mit dem Zug heimfahren und ich bin in dem schönen Biergarten geblieben, bis sie mir den neuen Verteilerfinger gebracht haben … das war schon etwas peinlich.

Erding Classic 2004 Ich bin jetzt schon seit fast zehn Jahren in München und es gefällt mir gut, nur das Meer vermisse ich manchmal. Ich würde ja auch mal gerne nach England fahren oder nach Irland oder Frankreich oder oder oder ...... ich denke, ich wünsche mir das einfach als Geschenk zu meinem 50sten in 2009, das können sie mir dann wohl kaum abschlagen.

Ich fahre aber auch gerne in München rum, da gibt es so tolle Strassenbahnschienen, in die meine schmalen Reifen genau reinpassen – da fahr ich im wahrsten Sinne des Wortes wie auf Schienen ! Meine Besitzer fluchen dann immer, weil man schwer wieder rauskommt, wenn man erst mal drin ist .... aber mir gefällt’s!

Mir gefällt es allerdings nicht, dass ich hier im Winter immer einen Winterschlaf halten soll; da steh ich mit der Giulia in einer dunklen Garage und darf nicht raus, obwohl mir die Kälte gar nichts ausmacht. Meine Besitzer behaupten, es würde bei mir reinziehen und die Heizung würde nicht richtig funktionieren und deshalb fahren sie im Winter nicht. Die sind vielleicht empfindlich – schliesslich haben die auch ihre Zipperlein und da lästern sie über meine !

Hopfentour Oldtimerfreunde Freising 2006 Aber wenn dann der Frühling kommt, dann bin ich bereit und ich springe immer sofort an, schliesslich will ich raus aus der Garage. Die Giulia macht immer ein Getue, braucht neue Zündkerzen und Streicheleinheiten und stellt sich an wenn’s unter 10 Grad hat – diese Italiener sind schon merkwürdige Wesen. Ich bin einfach nur froh, wenn’s endlich wieder losgeht!

Also, ihr seht, ich bin einmal um den halben Globus gereist und wieder zurück. Ich habe zwar von beiden Reisen nichts mitbekommen, aber ich bin ein echter Neuseeländer, das ist doch auch was. Unsere Freunde in Neuseeland behaupten zwar, ich wäre „A little old car for little old Ladies blocking up the road“, aber solche Lästerungen irritieren mich nicht im Geringsten.

MM-Jahrestreffen Zusmarshausen 2006 Ich geniesse mein Leben, auch wenn der Genuss manchmal bedroht wird. So wie jetzt, wo meine Umgebung demnächst zur Umweltzone erklärt werden soll und ich dann als sogenannter Stinker nicht mal mehr aus meiner Garage raus fahren können soll. Soll ich vielleicht fliegen, oder was? Aber es scheint doch noch einen Oldtimer-Gott zu geben, denn als stolzer Träger eines H-Kennzeichens darf ich jetzt doch in die Umweltzone fahren.

Nächstes Jahr werde ich 50, aber zum alten Eisen gehöre ich noch lange nicht. Man sieht mir das auch nicht an, ich finde, ich sehe mindestens 20 Jahre jünger aus. Äusserlich fehlt bei mir gar nichts, allerdings wollen sie demnächst meine Innereien mit einer Herz/Lungen (Motor/Getriebe) Transplantation etwas auffrischen. Zugegeben, in letzter Zeit hat es manchmal etwas gekracht im Getriebe und ein neues wäre schön – und mit neuem Motor und Getriebe bleibt meinen Besitzern auch gar nichts anderes mehr übrig, als mich zu meinem 50sten eine grosse Urlaubsreise machen zu lassen. She’ll be right ! (Oder auf bayrisch: schau ma moi !)

In diesem Sinne: Kia ora, das heisst: Auf Wiedersehen !

Euer Morrie

Bilder & Text von Claudia und Hans Burger aus Schönau (früher München) / Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

MM-Jahrestreffen Zusmarshausen 2006

PS: Heute, 2022, war ich immer noch nicht in England, da es zu meinem 50sten nicht geklappt hat. Für 2021 stand die Planung meiner Besitzer schon fest für eine Reise nach Schottland. Es hätte eine für mich angenehme Reise werden sollen, auf dem Anhänger hinter Campino, dem Wohnmobil meiner Besitzer, mit anschliessendem freien Fahren in Schottland. Aber dann kam so etwas wie Corona (keine Ahnung was das eigentlich ist, aber ich bin auf jeden Fall immun dagegen) und alles wurde verschoben. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben und ich bin jederzeit bereit.